9.11.10

Abenteuerurlaub auf Staatskosten?







"Weltwärts" oder "Kulturweit", FSJ, Freiwilligen- oder Zivildienst - das Chaos bei den Auslandsprogrammen zu beenden, gelingt der Bundesregierung nicht. Tausende Jugendliche ziehen damit in die weite Welt hinaus. Manche zweifeln selbst daran, ob ihre Arbeit in Entwicklungsländern wirklich sinnvoll ist.

Nils Bienzeisler heißt jetzt Thabo, auf deutsch heißt das "glücklich". Er hat seinen neuen Namen vom Chef des Dorfes bekommen, so ist es üblich in Lesotho. Vor ein paar Monaten hat er in der Nähe von Bremen Abitur gemacht und wollte hinaus in die Welt, Neues kennenlernen und gleichzeitig Gutes tun. "Ich will mal wirklich gefordert werden", sagte er.

Aber von wem? Der 19-Jährige hätte ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) auf den Philippinen machen können. Oder einen Hilfsjob als "Kulturweit"-Botschafter, etwa am Goethe-Institut in Buenos Aires. Bienzeisler entschied sich für eine "Weltwärts"-Stelle, angeboten vom Deutschen Entwicklungsdienst. In Deutschland besuchte er ein Vorbereitungsseminar, flog ins südliche Afrika und arbeitet jetzt in einer Vorschule mit. Er spielt mit den Kindern - viele davon Aids-Waisen - und legt Gemüsebeete an.

Tausende solcher Stellen im Ausland finanziert die Bundesrepublik für ihre jungen Bürger, gleich mehrere Bundesministerien bieten Programme an. Auslandsdienste - auch als Ersatz für den Zivildienst - gibt es zwar schon länger, aber jetzt sind sie ein staatlich gefördertes Massenphänomen. Vor drei Jahren schickte das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) mit dem "Weltwärts"-Programm zum ersten Mal junge Leute in Entwicklungsländer, 4400 sind es in diesem Jahr.

Durcheinander von staatlich geförderten Freiwilligendiensten
Das Programm erfreut sich großer Nachfrage - und ist immer wieder Kritik ausgesetzt: Leisten die jungen Freiwilligen einen sinnvollen Beitrag in der Entwicklungshilfe? Oder wird ihnen vom Staat ein Abenteuerurlaub in der Armut bezahlt?
Seit 2009 reisen Jugendliche fürs Auswärtige Amt unter dem Namen "Kulturweit" in die Ferne, knapp 400 sind es 2010. Das "pädagogisch begleitete" Programm samt Vor- und Nachbereitungsseminar wirbt auf bunten Fotos mit Einsatzgebieten von China bis Costa Rica. Nach Auffassung der Diplomaten bringen Freiwilligendienste "eine Menge Spaß" und helfen "die fremde wie auch die eigene Kultur kritisch zu hinterfragen".
Auch das Familienministerium will nicht fehlen. Ab Januar bietet Ministerin Kristina Schröder (CDU) einen eigenen "Internationalen Jugendfreiwilligendienst" an. Damit sollen pro Jahr 1200 junge Menschen in die Welt geschickt werden. Förderung: 250 Euro pro Kopf und Monat. Das FSJ im Ausland, auch beim Familienministerium angesiedelt, besteht daneben weiter.
Die staatlich geförderten Freiwilligendienste bilden eine unübersichtliche Gemengelage: Die Höhe der Förderung und das Taschengeld sind unterschiedlich, die Vorgaben an die Trägerorganisationen sind mal strenger, mal weniger streng. Manche Dienste unterliegen der Sozialversicherungspflicht, andere nicht.

Stellen nicht immer für Jugendliche geeignet
Eigentlich wollte die Bundesregierung das Chaos beenden und Freiwilligendienste einheitlicher regeln; so steht es im Koalitionsvertrag. Aber vom angekündigten "Freiwilligendienstestatusgesetz" gibt es nicht einmal einen Referentenentwurf. Inwieweit der von Schröder geplante freiwillige Zivildienst mit einbezogen werden soll, ist unklar. Gegen eine Bündelung der Zuständigkeit für alle Dienste beim federführenden Familienministerium wehren sich vor allem Schröders Kabinettskollegen Dirk Niebel vom BMZ und Außenminister Guido Westerwelle (beide FDP).
Solange das Durcheinander anhält, nutzen die von den Ministerien betrauten Entsendeorganisationen - es handelt sich um einige hundert - den Freiraum nach Kräften aus. Die Nachfrage bei Schulabgängern ist schließlich groß, die öffentlichen Etats sind attraktiv.
Immer wieder werden Einsatzländer aus Sicherheitsgründen von der Liste gestrichen, oder es gibt Probleme bei der Visa-Vergabe. Zuletzt konnten Freiwillige nicht nach Brasilien ausreisen, da die Südamerikaner darauf pochen, dass nur Fachkräfte mit Berufserfahrung ein Visum bekommen, um sich sozial zu engagieren. Deshalb müssen oft neue Einsatzstellen her. Und nicht immer sind die auch für Jugendliche geeignet.

"Für solche Stellen keine Steuergelder ausgeben"
Sarah Fey, 21, aus Frankfurt war mit der Organisation AFS als "Weltwärts"-Freiwillige in Peru. Sie arbeitete in einem Heim für jugendliche Mütter, am Anfang voller Idealismus, aber dann kam die Ernüchterung. Entweder hatte sie nichts zu tun, oder sie war überfordert. Wie sollte sie, ohne psychologische Ausbildung, mit Vergewaltigungsopfern umgehen?
Die Leiterin des Mütterheims habe gar kein Interesse an deutschen Freiwilligen gehabt, sagt Fey. Nach acht Monaten flog sie frühzeitig nach Hause zurück. "Für solche Stellen darf man doch keine Steuergelder ausgeben", sagt sie. Eine Sprecherin von AFS betont, die Stellen würden "sehr sorgfältig" ausgesucht und vom BMZ geprüft.
Fionn Ziegler, 23, hatte zwar Glück, denn die Nichtregierungsorganisation in der Dominikanischen Republik, bei der er arbeitete, konnte seine Kenntnisse als Fachinformatiker gut gebrauchen. Doch er sei die Ausnahme gewesen, sagt er. "Viele deutsche Freiwillige hatten nicht wirklich etwas zu tun." In Ruanda machte die Geschichte von Freiwilligen die Runde, die in der Hauptstadt Kigali in einer WG feierten und ansonsten keine rechte Aufgabe fanden. Interkulturelles Lernen fällt dann natürlich schwer.
Nur bei den zuständigen Ministerien sind solche Erkenntnisse nicht unbedingt angekommen. Das BMZ zum Beispiel kennt die Einsatzstellen für seine Freiwilligen oft nur aus den mitunter wolkigen Beschreibungen. Immerhin: Momentan wird das "Weltwärts"-Programm evaluiert, Mitte 2011 sollen Ergebnisse vorliegen.

Energiegeladene Deutsche überfordern ausländische Organisationen
Ein Qualitätssiegel für die Freiwilligendienste gibt es zwar, vergeben von der gemeinnützigen Agentur Quifd; es ist aber nur begrenzt aussagekräftig. Für eine Vor-Ort-Prüfung der Einsatzbedingungen gebe es "bislang keine Finanzierungsmöglichkeit", sagt Quifd-Geschäftsführerin Ana-Maria Stuht.

Dass gut gemeint nicht unbedingt gut gemacht bedeutet, hat Brigitte Schwinge herausgefunden, als sie kürzlich für den Verein South African German Network mit BMZ-Finanzierung die Wirkung von "Weltwärts" in Südafrika erforschte. Nicht alle Partnerorganisationen vor Ort kämen mit den Freiwilligen des Niebel-Ministeriums zurecht, sagt die Psychologin. "Manche sind mit den energiegeladenen jungen Deutschen einfach überfordert."

Kann es sein, dass "Weltwärts" seinen Zweck verfehlt? Nein, sagen die Vertreter von Entsendeorganisationen und BMZ. Schließlich würden keine Entwicklungshelfer in die Welt geschickt. Sondern junge Leute, die mit wertvollen Erfahrungen nach Deutschland zurückkämen. Knapp 200 dieser ehemaligen Auslandsfreiwilligen haben sich im Sommer auf einer Konferenz getroffen. Sie möchten ihre Erfahrungen im Ausland nicht missen und diese weitergeben. Aber sie möchten auch, dass nicht zu viele Freiwillige in die Welt geschickt werden. "Qualität vor Quantität", forderten sie.
Ihr Wunsch wird zumindest zum Teil Gehör finden, wenn auch aus einem schlichten Grund. In diesem Jahr schon war das "Weltwärts"-Budget kleiner als ursprünglich geplant. Von den 30 Millionen Euro, die für 2011 vorgesehen sind, wurde darum ein Teil schon ausgegeben. Jetzt muss gespart werden - und wohl weniger Jugendliche können ihren Dienst antreten.

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